Begriffserklärung Kuleschow-Effekt
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Der Begriff «Kuleschow-Effekt» in der Filmproduktion
Der Kuleschow-Effekt ist ein fundamentaler Begriff der Filmtheorie und bezeichnet ein Phänomen des Filmschnitts, bei dem zwei aufeinanderfolgende Einstellungen in ihrer Kombination eine stärkere, tiefere oder sogar völlig neue Bedeutung erzeugen, als es eine einzelne Einstellung allein vermag. Der Effekt geht auf den russischen Regisseur und Filmtheoretiker Lew Kuleschow (1899–1970) zurück, der in den 1910er und 1920er Jahren an der Moskauer Filmhochschule experimentelle Schnittstudien durchführte.
Ursprung und Experiment
In seinem bekanntesten Experiment montierte Kuleschow immer wieder dasselbe neutral-ernst blickende Gesicht des Schauspielers Iwan Moschuchin mit verschiedenen Bildmotiven: einem Teller Suppe, einem Kind in einem Sarg und einer Frau auf einer Chaiselongue. Dem Publikum wurde suggeriert, dass der Gesichtsausdruck des Mannes jeweils unterschiedlich sei – hungrig, traurig oder begehrend – obwohl es sich immer um das exakt gleiche Bild handelte. Die emotionale Wirkung entstand allein durch die Kombination der Einstellungen und durch das, was die Zuschauerinnen und Zuschauer daraus schlossen.
Bedeutung für die Filmgestaltung
Der Kuleschow-Effekt unterstreicht die Macht der Montage in der filmischen Narration. Er zeigt, dass die Bedeutung eines Bildes nicht isoliert entsteht, sondern durch den Kontext, in den es gestellt wird – ein zentrales Prinzip der Filmsprache. Der Effekt wurde zur Grundlage für viele weiterführende Theorien des sowjetischen Montagekinos, etwa bei Sergei Eisenstein, und beeinflusst bis heute das filmische Erzählen in allen Genres.
Wirkung und Wahrnehmung
Der Kuleschow-Effekt nutzt ein psychologisches Prinzip: Menschen neigen dazu, in Bildern einen Sinnzusammenhang zu sehen und Emotionen zu interpretieren, auch wenn diese nicht explizit gezeigt werden. Das Zusammenspiel von Bildfolge, Timing und Erwartung aktiviert die kognitive Beteiligung des Publikums und lässt es aktiv an der Bedeutungsbildung teilnehmen. Dadurch kann ein Filmemacher durch gezielten Schnitt Gedanken, Gefühle oder Zusammenhänge vermitteln, die nicht im Bild direkt ausgesprochen oder dargestellt werden müssen.
Anwendungsbeispiele
Der Kuleschow-Effekt findet in verschiedensten Bereichen Anwendung:
- In Spannungsszenen, wenn ein Blickschnitt zu einem bedrohlichen Objekt Angst suggeriert.
- In emotionalen Szenen, wenn der Zuschauer durch den Wechsel von Gesicht und Kontext die Gefühle einer Figur „liest“.
- In der Werbung, wo durch Kombination von Gesichtern, Produkten und Reaktionen eine Wirkung erzeugt wird.
Fazit
Der Kuleschow-Effekt ist ein Schlüsselmoment der Filmgeschichte, der zeigt, dass Film nicht nur eine visuelle Abbildung der Realität ist, sondern eine konstruierte Sprache mit eigenen Regeln. Er erinnert daran, dass Bedeutung im Film nicht nur im Bild liegt, sondern vor allem zwischen den Bildern entsteht – im Schnitt, im Rhythmus, in der Verknüpfung. Bis heute bleibt er ein zentrales Werkzeug des filmischen Erzählens und ein Paradebeispiel für die Macht der Montage.
- Synonyme: Kuleshov effect
- Sprache des Begriffes (2 Zeichen ISO Code): de




Über die Autorenschaft des Film und Video Glossars
Dan Riesen, Absolvent der Vancouver Film School VFS in Kanada, begleitet seit 2004 Filmproduktionen und Videoproduktionen in der Schweiz und im Ausland. Er ist CEO, Kameramann, Colorist und Filmproduzent bei der ALOCO GmbH in Bern und sehr bemüht, seinem Fachjargon auch kurze Erklärungen folgen zu lassen.




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